Manchmal werden im Museum Träume wahr  – für mich war das der Fall, als ich erfuhr, dass ich mit einer meiner Lieblingskünstlerinnen, VALIE EXPORT, für ein Projekt zusammenarbeiten darf.
 
VALIE EXPORT gilt als eine der einflussreichsten KünstlerInnen der letzten Jahrzehnte, sowohl international als auch national. Sie ist eine Pionierin der konzeptuellen Medien-, Performance- und Filmkunst – und für mich ganz persönlich seit meiner Schulzeit eines meiner großen feministischen Idole. Unsere Direktorin Danielle Spera hat VALIE EXPORT eingeladen, als überhaupt erste Künstlerin eine Intervention im Schaudepot des Museums in Form einer Vitrine einzurichten. Für VALIE EXPORT ist es nicht die erste Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum, bereits im Jahr 1997 gestaltete sie für die Ausstellung „Masken. Versuch über die Schoa“ vier Stelen für den öffentlichen Raum. Für die Intervention luden wir die Künstlerin dazu ein, sich in unsere Sammlungen zu vertiefen. Als Thema wählte Frau EXPORT „Kindheit“. Gemeinsam mit Danielle Spera und meinen KollegInnen Christa Prokisch, Dominik Cobanoglu und Sabine Bergler präsentieren wir Frau EXPORT Objekte und Dokumente, die teilweise ganz konkret mit individuellen Kindern und Jugendlichen verbunden sind.
 
So war Frau EXPORT bereits bald von Ilse Mezeis Tagebuch angetan. Das dreiteilige Tagebuch beschreibt das Leben des 17-jährigen jüdischen Mädchens, das in den Kriegsjahren in Wien lebte und der Deportation durch diverse Arbeiten (Telefonistin) für die Kultusgemeinde bzw. „Den Ältestenrat der Juden“ entkam. Sie schrieb vor allem Fakten auf, z. B. wen sie getroffen hat, wann und wo sie gearbeitet hat oder wann Fliegeralarm war. Ihre persönlichen Gedanken vertraute sie dem Buch kaum an. Ilse Mezei ist am 12. 3. 1945 bei einem Fliegerangriff ums Leben gekommen, weil sie als Jüdin den Luftschutzkeller nicht betreten durfte. Das Tagebuch ihres von  Nationalsozialisten hingerichteten Zwillingsbruders Kurt Mezei befindet sich in der Dauerausstellung „Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute“. Aus Ilse Mezeis Tagebuch stammt auch der Titel, den VALIE EXPORT für ihre Intervention gewählt hat: „Donnerstag, 24. April. Geg. ½ 11h fahre z. Lucie, die ich am Rabensteig treffe.“
© JMW
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Andere Objekte und Dokumente, die wir Frau EXPORT bei unseren gemeinsamen Rechercheterminen im Archiv des Museum zeigten, lassen gar keinen Aufschluss auf ihre ehemaligen Besitzerinnen und Besitzer zu, zeugen aber durch ihre ursprünglichen Funktionen als Spielzeug, Glücksbringer und Informationsblätter vom Leben jüdischer Kinder zu unterschiedlichen Zeiten. Meine KollegInnen und ich freuen uns sehr über die Auswahl, die VALIE EXPORT als „temporäre Kuratorin“ für die von ihr gestaltete Vitrine im Schaudepot getroffen hat. Ganz zufällig stammen alle Objekte in der Vitrine, bei denen wir über ihre Besitzerinnen Bescheid wissen, von Mädchen – eine Tatsache, die mich als feministische Kuratorin besonders freut. So tritt etwa Ilse Mezei aus dem Schatten ihres Bruders, über den wir in unserer Dauerausstellung auf Grund der Objekte, die mit ihm als Person verbunden sind, etwas mehr erfahren als über seine Schwester. Wenn ich nun vor VALIE EXPORTS Vitrine im Schaudepot stehe, schließt sich für mich ein Kreis – vom feministischen Idol meiner Jugend bis zu den Mädchen, deren Geschichten wir im Museum erzählen.
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© JMW
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