06. Juli 2021
Unter der Lupe

Nach der Europameisterschaft der Männer ist vor der Europameisterschaft der Frauen – ein Ausblick mit Rückblick

von Agnes Meisinger
© ANNO_Nationalbibliothek

Während dieser Tage die sehnlich erwartete Fußball-Europameisterschaft der Männer coronakonform begangen wird, bereiten sich die österreichischen Fußballerinnen auf ihr Antreten bei der EM in England im kommenden Jahr vor. Seit der höchst erfolgreichen Premiere der Frauen 2017, als das österreichische Nationalteam das Halbfinale erreichte, erfährt der Frauenfußball hierzulande wachsende Aufmerksamkeit. Völlig verschüttet ist jedoch die Geschichte der Wiener Pionierinnen der Zwischenkriegszeit, beginnen doch die offiziellen Aufzeichnungen zum österreichischen Frauenfußball erst in den 1970er-Jahren mit lokalen Meisterschaftsbewerben.
 

Als sich in den 1920er-Jahren die Aktivitäten im Bereich des Fußballs in Wien zu professionalisieren begannen, waren es vor allem Journalisten diverser Zeitungen, die Frauen dazu aufriefen, sich in der zu einem Massenphänomen entwickelnden Männersportart zu probieren. Humoristisch und zum Teil abfällig wurde dann von dem einen oder anderen Match berichtet, Fußball spielende Frauen blieben lange Zeit eine Kuriosität, sogar das Wort „Fußballerin“ erregte so manche Gemüter. Während österreichische Athletinnen anderer Sportarten, wie dem Schwimmen, Fechten oder Eiskunstlauf, in der Zwischenkriegszeit zur Weltspitze zählten und medial für ihre Leistungen gefeiert wurden, schien für Mädchen und Frauen im Fußballsport kein Platz zu sein.

 
Umso erstaunlicher ist es, dass die Gründung des 1. Wiener Damen-Fußball-Clubs „Kolossal“ durch die 22-jährige Wienerin Edith Klinger 1934 in eine Zeit fiel, als das austrofaschistische Regime danach strebte, die staatliche Kontrolle über die Sportagenden zu erlangen und Frauen aus dem Leistungs- und Wettkampfsport zu drängen. Beharrlich warb Klinger via Zeitungsannoncen Frauen für ihre Idee an, was zu einer Flut von Aufnahmeanträgen und der Gründung weiterer Teams führte. Nach Monaten der ernsthaften Vorbereitung fand im Oktober 1935 auf dem Lehrerplatz in Hernals unter den Augen von 2600 Zuschauerinnen und Zuschauern das erste offizielle Frauenfußballmatch statt.

Blättern Sie hier in der Kronen Zeitung vom 27. März 1935.
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Maßgeblich zur Entwicklung des modernen Sports im Wien der Zwischenkriegszeit trugen jüdische Sportfunktionäre und -funktionärinnen sowie der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Sportclub Hakoah bei. Im Jahr 1925 feierten die männlichen Kicker der Hakoah mit dem Gewinn der österreichischen Meisterschaft den größten Triumph ihrer Geschichte. Zwar gab es innerhalb der Hakoah kein Frauenfußballteam, doch durch die finanzielle Unterstützung der prominenten jüdischen Kaufhausbesitzerin und Modeschöpferin Ella Zirner-Zwieback konnte 1936 die 1. Österreichische Damenfussball-Union (DFU) ins Leben gerufen werden. Mit der Schaffung der Liga existierte in Österreich der weltweit einzige geregelte Meisterschaftsbetrieb für Frauen, der die studierte Pianistin auch als Präsidentin vorstand. Mit ihrem unternehmerischen und gesellschaftlichen Engagement stieß Ella Zirner-Zwieback nicht nur im Berufsleben, sondern auch in der Sportwelt in eine Männerdomäne vor.

Neun Teams nahmen in der ersten Saison teil, wobei alle aus dem Großraum Wien stammten. Doch noch bevor das erste Spiel ausgetragen werden konnte, intervenierte der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB), indem Frauenteams die Nutzung von Verbandsplätzen untersagt wurde. Trotz dieser massiven Ausgrenzungsmaßnahme gelang es der DFU, zwei vollständige Meisterschaftssaisonen auszutragen.
 
Die mediale Repräsentation der Fußball spielenden Mädchen und Frauen in den folgenden Jahren fiel ambivalent aus und bewegte sich zwischen Anerkennung und Ablehnung: Einerseits wurde den Fußballerinnen Respekt gezollt und Spieltermine beworben, andererseits verkamen die Artikel häufig zu Spotttiraden, die mit subtilen Verweisen auf die biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann, die Leistungen der Fußballerinnen ins Lächerliche zogen. Dieser Umstand förderte die Tradierung und Verfestigung von Geschlechterklischees im Sport, die mitunter bis in die Gegenwart nachwirken.
 
Letzten Endes blieben die frühen Bestrebungen der Wiener Fußballerinnen nur ein Versuch, sich im Sportbereich zu emanzipieren. Immer wieder mischten sich männliche Funktionäre oder Trainer ein und unterminierten somit den Selbstorganisationsversuch der Frauen. Zudem entsprachen die Sportlerinnen nicht dem vorherrschenden Frauenbild, das Anmut und Ästhetik widerspiegeln sollte, sie waren nicht selten publizistischer Häme ausgesetzt, die Unterstützung des ÖFB blieb ihnen verwehrt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Verbot des Frauenfußballs fanden ihre Ambitionen 1938 ein jähes Ende. Wenig später flüchtete Ella Zirner-Zwieback, deren Modehaus „Maison Zwieback“ in der Kärntner Straße „arisiert“ worden war, mit ihrem Sohn Ludwig vor der rassistischen Verfolgung in die USA. Nach Kriegsende dauerte es schließlich mehrere Jahrzehnte, bis sich der von Frauen ausgeübte Fußballsport in der Zweiten Republik reorganisieren konnte. Erst 1982 wurde der Frauenfußball nach Platz- und Spielverboten sowie der bewussten Negierung durch den ÖFB schließlich anerkannt und institutionell verankert.

Literaturtipp:
 
Astrid Peterle (Hg.), Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien 2017, Wien 2017.
 
Helge Faller/Matthias Marschik, Eine Klasse für sich. Als Wiener Fußballerinnen einzig in der Welt waren, Wien 2020.
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