13. Januar 2022
Unter der Lupe

Die Sphinx und das Krokodil

von Hannah Landsmann
© Jüdisches Museum Wien
Gnädigste, wie ist eigentlich Ihre Laune, nachdem Sie fortwährend lächeln?

Wie soll meine Laune schon sein? Mittelmäßig, Eher mittelmäßig.

Obwohl Sie sich in einem Museum befinden?

Das ist zumindest ein Vorteil. Da ist man dem Wetter nicht so ausgesetzt.

Dem Wetter waren Sie aber doch immer ausgesetzt?

Woher wollen Sie das denn wissen? Wenn ich mich selbst nicht erinnern kann. Oder nicht mehr so genau. Und jünger wird man ja leider auch nicht.

Das stimmt jedenfalls, das mit dem Alter. Ich bin wohl etwas jünger als Sie, aber ich spüre es auch schon in den Knochen, auch wenn ich nicht mehr alle habe. Aber kommen wir zurück zu Ihrer Laune.

Schlecht. Nachgerade miserabel. Weil alles weg ist. Die Erinnerung an mein altes Leben, das, das ich vor dem Moment führte, als man mich in einen Garten in Liesing brachte. Uns. Es gibt zwei von uns.

Und lächelten beide?

:
© David Bohmann
:
© David Bohmann
Natürlich. Das macht sonst ja alles keinen Sinn. Aber woher wissen Sie, dass ich lächle? Ich habe Ihnen mein Hinterteil zugewandt und das lächelt mit Sicherheit gar nicht. Wo sind Sie überhaupt? Und mit wem habe ich das noch recht zweifelhafte Vergnügen?

Nun, das ist leicht erklärt. Wir beide befinden uns in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Wien. Da hört man einiges. Es geht um die Wiener Rothschilds, es scheint sich um einen Krimi zu handeln. Mir ist nur sehr bedingt zum Lächeln zumute, denn ich hänge mit weit geöffnetem Maul im Museumshimmel und mir fehlt ein beachtliches Stück meines linken Hinterbeines.

Oh weh! Mir fehlt kein Bein, aber die Erinnerung. Wie ist es eigentlich um die Ihre bestellt?

Ganz gut. Aber in meinem Leben hat sich nicht so viel getan. Ich schwamm in einem vermutlich afrikanischen Gewässer herum, bis die Familie Rothschild auf Großwildjagd ging und mich erschoss. Vielleicht war es Louis.

Ungeheuerlich! Großwildjagd. Unelegant. Und unsympathisch.

Sehr. Heute sieht man das schon kritischer. Aber es gibt immer noch Menschen, die auf unsereins losgehen.

Weiter. Wie kommen Sie nun hierher?

Ich wohnte die längste Weile im Naturhistorischen Museum in Wien.

Nicht zu fassen! Sie waren dort ausgestellt?

Nicht wirklich, zumindest nicht für das Publikum. Ich hing in einem Büro. Ich weiß nicht alle Details, aber ich wurde dem Naturhistorischen Museum geschenkt. Ehrlich gesagt, das hatte ich vergessen, aber die Kurator*innen vom Jüdischen Museum Wien haben bei der Planung dieser Ausstellung über die Familie Rothschild sehr viel geforscht und gesucht. Und dann manches gefunden.

Rothschild? Rothschild! Das klingt mir irgendwie bekannt. Als hätte ich das schon gehört. Früher.

Alles hier in dieser Ausstellung hat mit den Wiener Rothschilds zu tun, die eigentlich aus Frankfurt stammten, aber auch in Paris, London und Neapel wohnten. Und natürlich in Wien.

Das ist sehr verwirrend! Kann man an so vielen Orten zuhause sein?

Ich glaube, das ist nicht so schwer. Das ergibt sich wohl auch. In Wien gab es Palais, Banken, Krankenhäuser, Eisenbahnlinien, Gärten und sogar einen Fußballclub, die mit der Familie Rothschild zu tun haben. Nicht zu vergessen die Kunst. Die sammelten gern und viel.

Palais. P a l a i s. Da gab es auch einen Garten. Ja. Auf der Rückseite. Und da waren wir eine ganze Weile.

Sehen Sie, es wird schon, die Erinnerung wird zurückkommen. Ich würde übrigens empfehlen, dass Sie zuhören, wenn hier Führungen stattfinden.

Führungen? Das ist, wenn Leute wirklich zuhören, oder?

Im besten Fall, ja. Ich habe jedenfalls schon einiges gehört. Wenn es Louis war, der mich erschossen hat, dann saß der 14 Monate im Gefängnis.

Was hatte er denn angestellt?

Gar nichts. Die Familie Rothschild war jüdisch. Das reichte schon.

Nicht zu fassen, wie dumm! Das ist ja, als würde man mich wegen meiner Frisur verhaften?

So ungefähr. Von Ihrer Frisur einmal abgesehen: Sie sind vorne eine Frau und hinten eine Wildkatze, vielleicht eine Löwin, das hätte die Leute, die damals das Sagen hatten, bestimmt enorm verwirrt. Man hätte Sie wohl auch verhaftet.

Lassen wir das jetzt. Sie meinen also, das Zuhören könnte meiner Erinnerung helfen?

Ja, in jedem Fall. Man sieht ja nur, was man kennt. Sie haben sehr viel vergessen, so dass Sie nicht mehr allzu viel sehen können. Aber ich bin sicher, dass Sie herausfinden werden, wo Sie gewohnt haben, wo das Palais mit dem Garten war, in dem auch Louis gelebt hatte.

Der Sie vielleicht erschossen hat? Warum reden Sie eigentlich so gescheit daher?

Reizend, dass Sie das sagen! Unsereins ist normalerweise entweder böse oder bissig, lästig oder heimtückisch. Auch im Kasperltheater ist das so. Sehr ärgerlich. Aber schon Heinrich Heine hat gewusst, dass die Menschen manchmal schlimmer sind als die Monster.

Sie haben also keine Lust mehr, das Monster zu geben?

Genau. Ich lasse mir jetzt von den Gästen in der Ausstellung in den Schlund schauen. Und ich merke, wie sie anfangen nachzudenken. Über mich. Und vielleicht über sich selbst. Über die aktuellen Monster.

Glauben Sie das wirklich?
Ich hoffe es. Auch dazu sind Ausstellungen gemacht, oder? Zum Nachdenken.

Ich spitze künftig beide Ohren.

Nur zu. Und bei Gelegenheit unterhalten wir uns wieder, ja?

Gern. Das hilft wohl auch beim Erinnern.