10. April 2024
Aktuelles

Provenienzforschung im Jüdischen Museum Wien

von Gabriele Kohlbauer-Fritz
© Sebastian Gansrigler
„Ich feilsche nicht. Vor mir liegt der Katalog.
Menora, Zeigestab, Torakrone, Besamim.
Ich hebe meine Augen empor zu diesem Berg,
doch die Decke behindert den direkten Blick auf
IHN.“

Boris Chersonskij, 1997

In seinem Versroman „Familienarchiv“, der die schicksalsgebeutelte Geschichte seiner jüdisch- ukrainisch- russischen Familie im 20. Jahrhundert erzählt, widmet der Autor Boris Chersonskij sechs seiner Gedichte „Judaika Auktionen“. Herrenlose Objekte, deren ursprüngliche Funktion abhanden gekommen ist und die zu hohen Preisen am internationalen Judaika Markt feilgeboten werden.

Erworben wurden und werden sie von privaten Sammlern oder auch von jüdischen Museen, die seit Beginn der 1980er Jahre vor allem im deutschen Sprachraum entstanden. Die Frage nach der Provenienz der angekauften Objekte war zunächst kein Thema, denn jüdische Museen in Europa verstanden sich in erster Linie als Vertreter der Opfer von Nazi-Plünderungen. Erst in den letzten Jahrzehnten sehen sich auch jüdische Museen verpflichtet, die eigenen Sammlungen nach Provenienz zu beforschen.

Das Jüdische Museum der Stadt Wien zog 1992 ins Palais Eskeles in die Dorotheergasse 11 ein und erhielt von der IKG als Dauerleihgabe einen riesigen Bestand an Kultgegenständen und Objekten aus Wiener und österreichischen Synagogen, Bethäusern und anderen jüdischen Institutionen, sowie die noch vorhandenen restitutierten Bestände aus dem ersten Jüdischen Museum. Die Bestände der IKG, die im Schaudepot des Jüdischen Museums ausgestellt sind, bilden keine Sammlung im klassischen Sinn, sondern sie stellen das materielle Gedächtnis dessen dar, was das jüdische Wien einmal war.

Allerdings gibt es auch in der Sammlung IKG aus unterschiedlichen Gründen Objekte aus Privatbesitz, die Restitutionsfälle sind. So konnten beispielsweise einige Gemälde aus der sogenannten „Masse Adria“ identifiziert werden. Dabei handelt sich um Umzugsgüter aus vorwiegend jüdischem Besitz, die 1943/44 von den NS Behörden am Hafen von Triest konfisziert wurden. Die Restitutionsabteilung der IKG bemüht sich, Nachfahren der ursprünglichen Besitzer zu finden, was schwierig ist, da es sich zumeist nicht um Bilder von berühmten KünstlerInnen handelt und die Namen der Vorbesitzer nirgends vermerkt sind.

Neben der Sammlung IKG werden im Jüdischen Museum einige in der Nachkriegszeit entstandene Judaika-Sammlungen aufbewahrt. Die größte ist die Sammlung von Max und Trude Berger, die von der Stadt Wien für das zu gründende jüdische Museum erworben wurde. Max Berger, der 1924 in Polen geboren wurde, als einziger seiner Familie den Holcaust überlebte und in den 1950er Jahren nach Wien kam, sammelte vor allem Viennensia und Objekte aus Österreich-Ungarn. In seinem Archiv befinden sich nur vereinzelt Belege über seine Ankäufe. Einige Objekte hat er in ehemaligen Ländern des Ostblocks erworben, zu einer Zeit, als es noch keinen wirklichen Markt für Judaika gab.

Durch seine frühe Sammlertätigkeit hat er viele Objekte vor dem Verschwinden bewahrt und gerettet. Im Zuge der Provenienzforschung konnte aber auch für einige Objekte seiner Sammlung die Herkunft geklärt werden. So sind ein Kiddusch Kelch aus der Werkstatt von Baruch Dornhelm (Inv.-Nr. 7821) und eine galizische Tora-Krona (Inv.-Nr. 7622) eindeutig den Sammlungen des ersten jüdischen Museums zuzuordnen. Wann und wie sie auf den Markt kamen, ist nicht belegbar.

Unter Provenienzforschung kann niemals ein Schlussstrich gezogen werden. In verschiedenen Zusammenhängen ergeben sich immer wieder neue Erkenntnisse. Auch die Beforschung der eigenen Sammlungen ist ein kontinuierlicher Prozess und bringt immer wieder Überraschungen hervor. Das Kunstrückgabegesetz von 1998/2009, das für die Bundesmuseen gilt, an dem sich aber auch die Gemeinde Wien orientiert, sowie die von ICOM herausgebenen Richtlinien für Provenienzforschung haben wesentlich zur Schärfung des Bewusstseins von Museumsmitarbeiter:innen beigetragen. Ankäufe, die früher getätigt wurden oder auch Schenkungen, die angenommen wurden, würde man heute nicht ohne sorgfältige Provenienzrecherche realisieren.

Zu diesem Thema empfehlen wir außerdem die Buchpräsentation "In gutem Glauben erworben - 25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien" am 23.04.2024 um 18:30 Uhr im Wien Museum. Dabei werden unter anderem das Kunstrückgabegesetz in Österreich, erfolgte und nicht erfolgte Rückgaben, die Provenienzforschung der Stadt Wien und ungeklärte Restitutionsfälle thematisiert. Infos und Anmeldung: WIEN MUSEUM