31. Januar 2024
Aktuelles
#WeRemember: Paul Grünberg (1923-2018)
von Barbara Staudinger
Gestern war wieder einmal der 27. Jänner, der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz und International Holocaust Remembrance Day. Gestern habe ich wieder einmal an Paul Günberg gedacht. Ich habe ihn kennengelernt, als wir für die österreichische Ausstellung in Auschwitz recherchierten, Interviews mit Überlebenden machten. Paul Grünberg lebte im 23. Bezirk, damals noch mit seiner viel jüngeren Frau, die später plötzlich verstarb. Dann war er alleine.
Paul Grünberg war Jahrgang 1923, ein Arbeiterkind, seine Eltern waren erst wenige Jahre vor seiner Geburt von Galizien nach Wien gekommen. Mit 16, als er mit seinem Vater 1939 verhaftet wurde, machte er gerade eine Schneiderlehre, die er nie beenden sollte. Er wurde ins Wiener Stadion verbracht, wo er gemeinsam mit 1000 anderen Wiener Juden von nationalsozialistischen Anthropologen rassenkundlich untersucht und vermessen wurde – die Gipsmaske, die von seinem Gesicht abgenommen wurde, liegt heute noch im Naturhistorischen Museum. „Die haben uns behandelt wie Gegenstände“, sagte er dazu. Danach wurden alle ins KZ Buchenwald deportiert. Die Arbeit im Steinbruch überlebte sein Vater nicht, Paul Grünberg gelang es in die Gärtnerei versetzt zu werden. Vier Jahre überlebte er dort, bis er im Oktober 1942 nach Auschwitz kam. Für den Transport war er nicht angemeldet gewesen, er meldete sich freiwillig. Alle seine Freunde wurden deportiert und auch wenn er bereits wusste, dass dies das Ende war, hätte er ohne sie in Buchenwald ohnehin nicht überlebt.
In Auschwitz wurde er im Außenlager Auschwitz-Monowitz untergebracht, wo er in den Buna-Werken Zwangsarbeit leisten musste. Er hatte er das, was man wohl Glück nennt. Paul Grünberg log, Buchhalter zu sein – und weil er eine außergewöhnlich schöne Handschrift hatte, wurde er in die Schreibstube aufgenommen. Er überlebte bis zum Ende. Als die Rote Armee näher rückte, wurde das Lager evakuiert. Am Todesmarsch gelang es ihm zu entkommen. Er versteckte sich mit einem Freund in einem Bauernhaus im tschechischen Liberec und wurde von der Roten Armee befreit. Nach Wien zurückgekommen stellte er fest, dass außer ihm niemand seiner Familie überlebt hatte. Er, der keine Schulbildung hatte, wurde durch die Vermittlung eines Mithäftlings schließlich kleiner Verlagsangestellter und wohnte im Gemeindebau.
Jahrelang war Paul Grünberg Zeitzeuge – in den Medien, in Schulen, in Bildungszentren. Als ich ihn kennenlernte, war er ein alter Mann. Ich erinnere mich, dass er mir einmal mit tiefen Augenringen die Tür öffnete und sich entschuldigte, er sei heute müde, nach jedem Zeitzeugenbesuch würden ihn Albträume quälen. Meinen Vorschlag, doch Termine abzusagen, wenn es ihm schlecht gehe, wollte er nicht hören. Er müsse doch, es sei seine Pflicht. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal mit meinem Sohn besuchte. Es waren Semesterferien und ich hatte keine Kinderbetreuung finden können. Mein Sohn war 8. Paul Grünberg freute sich über das Kind. „Heute reden wir aber nicht über Auschwitz“, meinte er.
Für unsere Ausstellung hatten wir einen Brief von ihm an die Fürsorgestelle der IKG gefunden. Er hatte ihn aus Auschwitz geschrieben. In dem Brief bat er um 250g Lebensmittel – dies dürfe er bekommen, steht in dem Brief. Ich zeigte Paul Grünberg eine Kopie. Er starrte den Brief an. Er erkenne seine Schrift, sagte er, aber er könne sich nicht mehr daran erinnern, den Brief geschrieben zu haben. Und dann begann er zu weinen. Man habe ihm nichts geschickt, beteuerte er. Ein Viertel Kilo Essen, das wäre viel gewesen. Er habe so gehungert, aber er hätte nichts bekommen. Ich sagte ihm, dass ich nicht weiß, ob die Fürsorgestelle ihm etwas geschickt habe, wenn aber, so wäre das Paket von der SS beschlagnahmt worden – weil er Jude war. Dann weinte er noch mehr.
Ich erinnere mich an Paul Grünberg, der am 8. April 2018 im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Er sei mit Marco Feingold „der letzte aus der alten Garde“ hatte er immer gesagt und meinte damit die letzten Überlebenden von jenen, die praktisch die gesamte NS-Zeit in KZ-Haft waren. Als Jugendlicher war er ins Konzentrationslager gekommen, heraus kam er in gewisser Weise als alter Mann.
Ich erinnere mich an Paul Grünberg, nicht nur weil es wieder einmal der 27. Jänner ist, sondern weil ich oft an ihn denke. #WeRemember ist nicht nur an einem Tag.
Die österreichische Ausstellung „Entfernung. Österreich und Auschwitz“ wurde 2021 eröffnet. Sie ist im Block 17 der Gedenkstätte zu sehen und virtuell auf www.auschwitz.at zu besuchen. Weitere Interviewquellen sind ebendort bei der Biografie zu Paul Grünberg angeführt. Der Brief ist ein Objekt der Ausstellung.
Paul Grünberg war Jahrgang 1923, ein Arbeiterkind, seine Eltern waren erst wenige Jahre vor seiner Geburt von Galizien nach Wien gekommen. Mit 16, als er mit seinem Vater 1939 verhaftet wurde, machte er gerade eine Schneiderlehre, die er nie beenden sollte. Er wurde ins Wiener Stadion verbracht, wo er gemeinsam mit 1000 anderen Wiener Juden von nationalsozialistischen Anthropologen rassenkundlich untersucht und vermessen wurde – die Gipsmaske, die von seinem Gesicht abgenommen wurde, liegt heute noch im Naturhistorischen Museum. „Die haben uns behandelt wie Gegenstände“, sagte er dazu. Danach wurden alle ins KZ Buchenwald deportiert. Die Arbeit im Steinbruch überlebte sein Vater nicht, Paul Grünberg gelang es in die Gärtnerei versetzt zu werden. Vier Jahre überlebte er dort, bis er im Oktober 1942 nach Auschwitz kam. Für den Transport war er nicht angemeldet gewesen, er meldete sich freiwillig. Alle seine Freunde wurden deportiert und auch wenn er bereits wusste, dass dies das Ende war, hätte er ohne sie in Buchenwald ohnehin nicht überlebt.
In Auschwitz wurde er im Außenlager Auschwitz-Monowitz untergebracht, wo er in den Buna-Werken Zwangsarbeit leisten musste. Er hatte er das, was man wohl Glück nennt. Paul Grünberg log, Buchhalter zu sein – und weil er eine außergewöhnlich schöne Handschrift hatte, wurde er in die Schreibstube aufgenommen. Er überlebte bis zum Ende. Als die Rote Armee näher rückte, wurde das Lager evakuiert. Am Todesmarsch gelang es ihm zu entkommen. Er versteckte sich mit einem Freund in einem Bauernhaus im tschechischen Liberec und wurde von der Roten Armee befreit. Nach Wien zurückgekommen stellte er fest, dass außer ihm niemand seiner Familie überlebt hatte. Er, der keine Schulbildung hatte, wurde durch die Vermittlung eines Mithäftlings schließlich kleiner Verlagsangestellter und wohnte im Gemeindebau.
Jahrelang war Paul Grünberg Zeitzeuge – in den Medien, in Schulen, in Bildungszentren. Als ich ihn kennenlernte, war er ein alter Mann. Ich erinnere mich, dass er mir einmal mit tiefen Augenringen die Tür öffnete und sich entschuldigte, er sei heute müde, nach jedem Zeitzeugenbesuch würden ihn Albträume quälen. Meinen Vorschlag, doch Termine abzusagen, wenn es ihm schlecht gehe, wollte er nicht hören. Er müsse doch, es sei seine Pflicht. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal mit meinem Sohn besuchte. Es waren Semesterferien und ich hatte keine Kinderbetreuung finden können. Mein Sohn war 8. Paul Grünberg freute sich über das Kind. „Heute reden wir aber nicht über Auschwitz“, meinte er.
Für unsere Ausstellung hatten wir einen Brief von ihm an die Fürsorgestelle der IKG gefunden. Er hatte ihn aus Auschwitz geschrieben. In dem Brief bat er um 250g Lebensmittel – dies dürfe er bekommen, steht in dem Brief. Ich zeigte Paul Grünberg eine Kopie. Er starrte den Brief an. Er erkenne seine Schrift, sagte er, aber er könne sich nicht mehr daran erinnern, den Brief geschrieben zu haben. Und dann begann er zu weinen. Man habe ihm nichts geschickt, beteuerte er. Ein Viertel Kilo Essen, das wäre viel gewesen. Er habe so gehungert, aber er hätte nichts bekommen. Ich sagte ihm, dass ich nicht weiß, ob die Fürsorgestelle ihm etwas geschickt habe, wenn aber, so wäre das Paket von der SS beschlagnahmt worden – weil er Jude war. Dann weinte er noch mehr.
Ich erinnere mich an Paul Grünberg, der am 8. April 2018 im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Er sei mit Marco Feingold „der letzte aus der alten Garde“ hatte er immer gesagt und meinte damit die letzten Überlebenden von jenen, die praktisch die gesamte NS-Zeit in KZ-Haft waren. Als Jugendlicher war er ins Konzentrationslager gekommen, heraus kam er in gewisser Weise als alter Mann.
Ich erinnere mich an Paul Grünberg, nicht nur weil es wieder einmal der 27. Jänner ist, sondern weil ich oft an ihn denke. #WeRemember ist nicht nur an einem Tag.
Die österreichische Ausstellung „Entfernung. Österreich und Auschwitz“ wurde 2021 eröffnet. Sie ist im Block 17 der Gedenkstätte zu sehen und virtuell auf www.auschwitz.at zu besuchen. Weitere Interviewquellen sind ebendort bei der Biografie zu Paul Grünberg angeführt. Der Brief ist ein Objekt der Ausstellung.