Ein Blick zurück und viele nach vorne
von Barbara Staudinger
© Ouriel Morgensztern
Dass die Zeit wie im Flug vergehen kann, ist ein gängiges Sprichwort – wie sich das anfühlt, habe ich im letzten Jahr erfahren. Am 1. Juli 2022 habe ich die Geschäftsführung des Jüdischen Museums Wien übernommen und heute, ein Jahr später, kommt es mir vor, als wären einerseits erst ein paar Wochen vergangen, die aber andererseits gefüllt waren mit Erlebnissen für ein paar Jahre.
Jahrestage bieten immer eine Chance, nicht nur um zurückzublicken und Erreichtes zu feiern, sondern auch um nach vorne zu schauen, und den Weg in die Zukunft zu skizzieren. Und weil sich historische Museen als Kulturinstitutionen verstehen, die aus der Vergangenheit heraus gesellschaftspolitische Fragen der Gegenwart und Zukunft stellen, also quasi Rückblick und Vorschau in sich vereinen, soll ein Rückblick auf ein Museumsjahr auch eine Perspektive auf die Zukunft geben.
Es war ein ereignisreiches Jahr mit vielen Diskussionen, viel Arbeit und viel Veränderung. Bereits die erste Ausstellung unter meiner Direktion hat das Haus für Debatten geöffnet, die, auch wenn sie nicht immer leicht oder bequem waren, gezeigt haben, dass Fragen nach jüdischer Identität, Erinnerungskultur, nach Perspektivenvielfalt und Deutungshoheiten aktueller sind denn je. Den Weg, das Museum für die – jüdische wie nichtjüdische – Stadtgesellschaft zu öffnen, aktuelle Diskurse aufzugreifen und einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zu leisten, wird das Museum weitergehen.
Ab diesem Sommer zeigen wir mit zwei Ausstellungen in der Dorotheergasse die Themenvielfalt eines jüdischen Museums: Die Foto-Ausstellung Fokus! Jetzt! Maria Austria – Fotografin im Exil zeigt Leben und Werk einer in Wien ausgebildeten außergewöhnlichen Fotografin, Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion nimmt die Geschichte von fünf Wiener und europäischen Fußballklubs und ihrer Fanszenen in den Blick. Anfang nächsten Jahres werden wir mit Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not ein historisches wie aktuelles, gleichsam medizinisches wie soziales und ökologisches Thema aufgreifen und fragen, wer wem wann und warum hilft – oder nicht.
Im Museum Judenplatz haben wir durch eine neue Ausstellungsreihe eine Neukonzeption des Ortes bewirkt. Die Ausgrabung der mittelalterlichen Synagoge, das Schoa-Mahnmal und die jüdische Geschichte und Gegenwart des Platzes geben inhaltliche Kontexte vor, die wir durch die Wechselausstellungen an diesem Museumsstandort verdichten wollen. Bis Ende Oktober 2023 zeigen wir als erste Schau der Ausstellungsreihe Schuld, Anfang November wird die Ausstellung Frieden eröffnet – in einer Zeit, in der in Europa wieder Krieg geführt wird, wahrscheinlich das aktuellste Thema.
Ich bin damit angetreten, das Museum zu öffnen und nach außen zu gehen – erste Schritte sind bereits gemacht. Unser in regelmäßigen Abständen und bei freiem Eintritt veranstaltete Debate Club stellt das Argument als Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft in den Mittelpunkt. Eine mehrmals pro Jahr wechselnde, neu konzipierte Ausstellungsreihe in einem Schaufenster des Jüdischen Museums in der Dorotheergasse machtjüdische Kultur für alle zugänglich. Eine kleine Intervention des Jüdischen Museums am temporären Kunstwerk vor dem Lueger-Denkmal macht zeitgenössische jüdische Perspektiven auf den umstrittenen Bürgermeister sichtbar. Community Outreach ist eine wichtige Zukunftsperspektive des Museums. Daher planen wir als nächsten Schritt ein mobiles Museumsprogramm, mit dem das Jüdische Museum direkt in die Schulen geht. Auch in der Dauerausstellung hat sich Interessantes getan: Eine Vitrine wurde entfernt, um Platz für eine neue zu schaffen, die nun die Netsuke-Sammlung der Familie Ephrussi zeigt . Die Tier-Netsukes sind auf einer stilisierten Arche zu sehen, die auf die bewegende Rettungsgeschichte der Sammlung verweist. Weitere Änderungen in der Dauerausstellung werden folgen – vor allem eine partielle Neuaufstellung unseres Schaudepots, bevor 2027 die neue Dauerausstellung eröffnet wird. Wir haben dieses Jahr mit der spannenden Arbeit daran begonnen, ein neuer und hochkarätig besetzter wissenschaftlicher Beirat wird diese Reise begleiten.
Eine neue Dauerausstellung bedeutet auch immer Forschung an der eigenen Sammlung. Daher freut es mich besonders, dass durch private und öffentliche Förderungen die intensive Beforschung, Restaurierung und Digitalisierung wesentlicher Sammlungsbereiche sichergestellt wurden. Die Ergebnisse werden in einer Online-Sammlung der wissenschaftlichen Community, aber auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und sollen zur Diskussion und Partizipation einladen – auch dies ist eine wesentliche Aufgabe eines sich als demokratisch verstehenden Museums.
Das Jüdische Museum Wien wird heute als ein innovativer Motor der Stadt wahrgenommen, in musealer, gesellschaftspolitischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Wir sind ein Grünes Museum und betrachten es als unsere Aufgabe durch ökologisches Handeln zur Sicherung der Ressourcen für nachfolgende Generationen beizutragen. Durch unser Engagement konnten wir unseren Energieverbrauch wesentlich senken, und dies ist nur der erste Schritt für uns in Richtung Nachhaltigkeit. Dieses Jahr konnten neue Sponsoren gefunden werden, die uns helfen, in allen Bereichen den eingeschlagenen Weg einer modernen Kulturarbeit weiterzugehen. Kurz vor diesem einjährigen Jubiläum hat das Museum eine großzügige Spende eines amerikanischen Sponsors erhalten – ein großartiger Erfolg und eine schöne Bestätigung unserer Arbeit.
Nach einem Jahr mit viel Arbeit und noch mehr Freude blicke ich heute zurück, aber vor allem nach vorne, auf all das, was vor uns liegt – und bin gespannt, wie Ihnen, liebe Besucher:innen, unser Weg gefallen wird. Ein Museum lebt vom Diskurs und ich freue mich darauf, diesen weiterzuführen.
Jahrestage bieten immer eine Chance, nicht nur um zurückzublicken und Erreichtes zu feiern, sondern auch um nach vorne zu schauen, und den Weg in die Zukunft zu skizzieren. Und weil sich historische Museen als Kulturinstitutionen verstehen, die aus der Vergangenheit heraus gesellschaftspolitische Fragen der Gegenwart und Zukunft stellen, also quasi Rückblick und Vorschau in sich vereinen, soll ein Rückblick auf ein Museumsjahr auch eine Perspektive auf die Zukunft geben.
Es war ein ereignisreiches Jahr mit vielen Diskussionen, viel Arbeit und viel Veränderung. Bereits die erste Ausstellung unter meiner Direktion hat das Haus für Debatten geöffnet, die, auch wenn sie nicht immer leicht oder bequem waren, gezeigt haben, dass Fragen nach jüdischer Identität, Erinnerungskultur, nach Perspektivenvielfalt und Deutungshoheiten aktueller sind denn je. Den Weg, das Museum für die – jüdische wie nichtjüdische – Stadtgesellschaft zu öffnen, aktuelle Diskurse aufzugreifen und einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zu leisten, wird das Museum weitergehen.
Ab diesem Sommer zeigen wir mit zwei Ausstellungen in der Dorotheergasse die Themenvielfalt eines jüdischen Museums: Die Foto-Ausstellung Fokus! Jetzt! Maria Austria – Fotografin im Exil zeigt Leben und Werk einer in Wien ausgebildeten außergewöhnlichen Fotografin, Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion nimmt die Geschichte von fünf Wiener und europäischen Fußballklubs und ihrer Fanszenen in den Blick. Anfang nächsten Jahres werden wir mit Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not ein historisches wie aktuelles, gleichsam medizinisches wie soziales und ökologisches Thema aufgreifen und fragen, wer wem wann und warum hilft – oder nicht.
Im Museum Judenplatz haben wir durch eine neue Ausstellungsreihe eine Neukonzeption des Ortes bewirkt. Die Ausgrabung der mittelalterlichen Synagoge, das Schoa-Mahnmal und die jüdische Geschichte und Gegenwart des Platzes geben inhaltliche Kontexte vor, die wir durch die Wechselausstellungen an diesem Museumsstandort verdichten wollen. Bis Ende Oktober 2023 zeigen wir als erste Schau der Ausstellungsreihe Schuld, Anfang November wird die Ausstellung Frieden eröffnet – in einer Zeit, in der in Europa wieder Krieg geführt wird, wahrscheinlich das aktuellste Thema.
Ich bin damit angetreten, das Museum zu öffnen und nach außen zu gehen – erste Schritte sind bereits gemacht. Unser in regelmäßigen Abständen und bei freiem Eintritt veranstaltete Debate Club stellt das Argument als Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft in den Mittelpunkt. Eine mehrmals pro Jahr wechselnde, neu konzipierte Ausstellungsreihe in einem Schaufenster des Jüdischen Museums in der Dorotheergasse machtjüdische Kultur für alle zugänglich. Eine kleine Intervention des Jüdischen Museums am temporären Kunstwerk vor dem Lueger-Denkmal macht zeitgenössische jüdische Perspektiven auf den umstrittenen Bürgermeister sichtbar. Community Outreach ist eine wichtige Zukunftsperspektive des Museums. Daher planen wir als nächsten Schritt ein mobiles Museumsprogramm, mit dem das Jüdische Museum direkt in die Schulen geht. Auch in der Dauerausstellung hat sich Interessantes getan: Eine Vitrine wurde entfernt, um Platz für eine neue zu schaffen, die nun die Netsuke-Sammlung der Familie Ephrussi zeigt . Die Tier-Netsukes sind auf einer stilisierten Arche zu sehen, die auf die bewegende Rettungsgeschichte der Sammlung verweist. Weitere Änderungen in der Dauerausstellung werden folgen – vor allem eine partielle Neuaufstellung unseres Schaudepots, bevor 2027 die neue Dauerausstellung eröffnet wird. Wir haben dieses Jahr mit der spannenden Arbeit daran begonnen, ein neuer und hochkarätig besetzter wissenschaftlicher Beirat wird diese Reise begleiten.
Eine neue Dauerausstellung bedeutet auch immer Forschung an der eigenen Sammlung. Daher freut es mich besonders, dass durch private und öffentliche Förderungen die intensive Beforschung, Restaurierung und Digitalisierung wesentlicher Sammlungsbereiche sichergestellt wurden. Die Ergebnisse werden in einer Online-Sammlung der wissenschaftlichen Community, aber auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und sollen zur Diskussion und Partizipation einladen – auch dies ist eine wesentliche Aufgabe eines sich als demokratisch verstehenden Museums.
Das Jüdische Museum Wien wird heute als ein innovativer Motor der Stadt wahrgenommen, in musealer, gesellschaftspolitischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Wir sind ein Grünes Museum und betrachten es als unsere Aufgabe durch ökologisches Handeln zur Sicherung der Ressourcen für nachfolgende Generationen beizutragen. Durch unser Engagement konnten wir unseren Energieverbrauch wesentlich senken, und dies ist nur der erste Schritt für uns in Richtung Nachhaltigkeit. Dieses Jahr konnten neue Sponsoren gefunden werden, die uns helfen, in allen Bereichen den eingeschlagenen Weg einer modernen Kulturarbeit weiterzugehen. Kurz vor diesem einjährigen Jubiläum hat das Museum eine großzügige Spende eines amerikanischen Sponsors erhalten – ein großartiger Erfolg und eine schöne Bestätigung unserer Arbeit.
Nach einem Jahr mit viel Arbeit und noch mehr Freude blicke ich heute zurück, aber vor allem nach vorne, auf all das, was vor uns liegt – und bin gespannt, wie Ihnen, liebe Besucher:innen, unser Weg gefallen wird. Ein Museum lebt vom Diskurs und ich freue mich darauf, diesen weiterzuführen.