25. Juni 2025
Unter der Lupe

Die Donauregulierung und die Leopoldstadt – Peter Wildgrubers Fulbright-Recherche am Jüdischen Museum Wien

von Peter Wildgruber
© Peter Wildgruber
Als Praktikant am Jüdischen Museum Wien (JMW) habe ich in den vergangenen Monaten die Donauregulierung (1871–1875) und ihre Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung der Leopoldstadt untersucht. Mein Projekt ist Teil meines Fulbright-Stipendiums, das mir ermöglicht, in Wien zu leben, zu arbeiten und zu rechechieren. Ich habe die Leopoldstadt als Untersuchungsgebiet gewählt, da sie das Zentrum jüdischen Lebens in Wien darstellt. Aufgrund des großen Anteils der hier lebenden jüdischen Österreicher:innen erhielt sie den Spitznamen „Mazzes-Insel“ – eine Anspielung auf das ungesäuerte Brot Mazzot und ihre Lage zwischen dem Donaukanal und der Donau.

Als ich meine Forschungsarbeit in den USA begann, erwartete ich, in der Stadtplanung des 19. Jahrhunderts klare Trennlinien zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bewohnern zu finden – insbesondere im Zusammenhang mit den vielfältigen Berührungspunkten der Donau mit dem Wiener Stadtleben. Stattdessen stellte ich fest, dass die jüdischen Beteiligten an der Regulierung ihre Mitwirkung nicht mit ihrer jüdischen Identität oder dem Leben auf der Mazzes-Insel verbanden. Vielmehr teilten sie mit ihren nichtjüdischen Nachbar:innen und Kollegen eine gemeinsame Vision der Modernisierung der Stadt.

Die Donauregulierung war entscheidend für das Wachstum Wiens. Sie kontrollierte Überschwemmungen, stabilisierte den Verlauf der Donau und schützte die Stadt. Dadurch wurden sicherere Lebensbedingungen geschaffen, die städtische Entwicklung gefördert, der Handel belebt und die Grundlage für Wiens Wandel zur modernen europäischen Hauptstadt gelegt. Damals erkannten Bauingenieure und Lokalpolitiker die enorme Bedeutung dieses Großprojekts für den zweiten Bezirk.

In einem Schreiben an den niederösterreichischen Landtag, in dem die Genehmigung des Projekts beantragt wurde, betonte der Gemeinderat der Leopoldstadt die Notwendigkeit der Donauregulierung: 
„Die Regulierung der Donau nächst Wien hat also außer ihrer allgemeinen Bedeutung für Volkswirthschaft und Handel noch eine besondere Wichtigkeit für die Haupt- und Residenzstadt, und namentlich für den zweiten Bezirk derselben, für welchen sie eine wahre Lebensfrage bildet.“
(Ley, Konrad. Donau Regulierung, 4. Oktober 1865, Wienbibliothek im Rathaus, Wien, S. 3.)

Während meiner Recherchen stieß ich auf Sigmund Taussig (1840–1910), einen jüdisch-österreichischen Bauingenieur, der das Jüdische Museum Wien mitbegründete, Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) war und in der Donauregulierungskommission mitarbeitete. Als Bankiers, Investoren und Geschäftsleute trugen Wiener Juden auf vielfältige Weise zur Regulierung bei – etwa durch Aktienbeteiligungen des Moritz-Todesco-Treuhandfonds oder durch ein Darlehen der Bankhäuser Ephrussi & Co. und Paul Schiff, das den Bau mitfinanzierte.

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© Jüdisches Museum Wien
Brief der Donau-Regulierungs-Commission an die Bankhäuser Ephrussi und Paul Schiff, 7. Dezember 1870.

Dieses Schreiben wurde von der Kommission an die Bankhäuser Ephrussi und Schiff gesendet, um ihnen für das Darlehen zur Finanzierung der Regulierung zu danken. 

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© Jüdisches Museum Wien
Porträt von Sigmund Taussig.
Im Zuge meiner Forschung habe ich gelernt, mich in Wiens Archivlandschaft zurechtzufinden – in der Wienbibliothek im Rathaus, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv, dem Archiv der IKG und den Bezirksmuseen. Bei einer Führung durch den faszinierenden neuen Donau-Raum des Bezirksmuseums Brigittenau lernte ich, wie die Wiener die Donau für Handel und Freizeit nutzten und wie sich diese Beziehung im Laufe der Zeit verändert hat. Die Herausforderungen, jüdische Quellen zu finden, Kurrentschrift zu lesen und ihre Bedeutung zu entschlüsseln, waren besonders lohnend. Ich freue mich darauf, weitere Geschichten zu entdecken, während ich für den Rest meines Aufenthalts mit dem Jüdischen Museum zusammenarbeite.


Markus, David. Glückwunschadresse für Sigmund Taussig, 1900. 
Sigmund Taussig erhielt diese illustrierte Glückwunschadresse zu seinem sechzigsten Geburtstag.
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© Jüdisches Museum Wien
 

Praktikant Wildgrubers Arbeit am Projekt „Looted Books“


Ich habe den Genealogen Markus Pasterk beim Projekt „Looted Books“ unterstützt, indem ich die Familiengeschichte der Elias’, einer jüdischen Familie in Wien, erforschte. Das Projekt hat zum Ziel, von den Nationalsozialist:innen geraubte Bücher ihren ursprünglichen Eigentümern oder deren Nachkommen zurückzugeben. In diesem Fall wurden Bücher, die einst „Emma Elias“ gehörten, beschlagnahmt, und ich erhielt die Aufgabe, ihre Familienlinie nachzuverfolgen. Mithilfe öffentlich zugänglicher digitalisierter Geburts-, Heirats- und Sterberegister erstellte ich einen Stammbaum, der von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart reicht, und identifizierte mindestens zwei lebende Verwandte.

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© Peter Wildgruber
Emma Elias’ freigelegter Grabstein  
Online-Ressourcen wie JewishGen und FamilySearch ermöglichten mir den Zugang zu zahlreichen Familiendaten. Emma (1852–1933) wurde in Boskowitz, Mähren geboren und zog nach Wien, wo sie im 9. Bezirk lebte und eine Familie gründete. Ich fand fünf Kinder, die Emma und ihr Ehemann Emanuel hatten. Bei ihrem Tod 1933 lebten noch zwei Kinder: Leo und Elsa. Nach Jahrzehnten in Wien emigrierte Leo mit seinem Sohn Albert in die Vereinigten Staaten, um der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen. Darüber hinaus konnte ich die letzten Ruhestätten vieler Mitglieder der Familie Elias am Wiener Zentralfriedhof ausfindig machen. Ich werde nie vergessen, wie ich Emmas verschütteten Grabstein entdeckte. 
Ich hatte die ungefähre Lage ihres Grabes ermittelt, fand aber zunächst nichts. Als ich mich zum Gehen wandte, bemerkte ich einen kleinen Stein, kaum größer als ein Pflasterstein, der durch das Laub lugte. Als ich Erde und Unkraut entfernte, erschien ein Buchstabe – dann ein Name: Elias. Dort fand ich das Grab von Emma, ihrer Mutter Resi, Emanuel und Tochter Elsa. Durch das Aufdecken der Vergangenheit konnte ich einen kleinen Beitrag zur Rückgabe geraubten Eigentums an seine rechtmäßigen Besitzer:innen leisten.

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© Peter Wildgruber
Grabstein der Familie Elias nach dem Entfernen von Laub 
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© Peter Wildgruber
Peter präsentierte seine Forschung kürzlich bei einem Fulbright-Forum zu Austrian Studies. 


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© Peter Wildgruber
Peter bei seinem Vortrag  
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© JMW
Curator Caitlin Gura and US Fulbright Combined Grantee Peter Wildgruber at the Jewish Museum Vienna, June 2025