29. Juli 2025
Aktuelles

In memoriam Angelica Bäumer (1932-2025)

von Barbara Staudinger
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Das letzte Mal, als ich Angelica im Museumscafé traf, wirkte sie erschöpft. Sie erzählte mir, dass sie für den Fußweg von sich zuhause, für den sie früher zehn Minuten ins Jüdische Museum gebraucht hatte, mehr als eine halbe Stunde unterwegs war. Wir tranken Kaffee und sie zeigte mir ihr Kinderbuch, das sie geschrieben und mit ihren Kinderzeichnungen sowie mit Bildern ihrer Eltern illustriert hatte. „Die Geschichte eines Kindes von 1932 bis 1945“, so heißt das Buch, das 2022 von der Theodor Kramer Gesellschaft publiziert worden ist, erzählt von ihrer Kindheit:

Angelica Bäumer wurde 1932 in Frankfurt am Main als Tochter des Kunstmalers Eduard Bäumer, der an der dortigen Städelschule studiert hatte, und ihrer Mutter Valerie, die aus einer gutbürgerlichen jüdischen Wiener Familie stammte und ebenfalls in der Städelschule ausgebildet worden war, geboren. Ein Jahr nach ihrer Geburt verließ die Familie nach der Machtübernahme Andolf Hitlers Deutschland und übersiedelte nach Salzburg, wo auch 1935 Angelicas jüngerer Bruder Michael geboren wurde. Die Familie war wohlhabend und bezog ein Haus, das zu einem Künstlertreffpunkt wurde. Angelica besuchte die Klosterschule, nach deren Schließung durch die Nationalsozialisten die öffentliche Volksschule. Ihr Leben war nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich ein anderes geworden. Das Vermögen der Familie wurde beschlagnahmt, die Eltern mussten Zwangsarbeit leisten.1942 kam Angelica ins Gymnasium. Im selben Jahr machte die Familie Bekanntschaft mit dem Pfarrer Balthasar Linsinger aus Weißbach bei Lofer, für dessen Kirche Eduard Bäumer ein Fresko malte und der 1943 der Familie vorschlug, sie vor der immer schärferen Verfolgung zu schützen und sie bei sich im Pfarrhof aufzunehmen. 1944 floh Mutter Valerie mit ihren drei Kindern schließlich in die Pfarre Großarl, wohin Pfarrer Lisinger versetzt worden war. Als angeblich Ausgebombte aus Wien überlebten sie dort.

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Zeichnung aus Angelica Bäumers Kindheit

Nach dem Krieg holte Angelica Bäumer ihre unterbrochene Ausbildung nach, studierte Musik, Architektur und Kunstgeschichte in Wien und war 1971 bis1985 als Journalistin im Hörfunk und Fernsehen tätig. Sie war national und international in Jurys für bildende Kunst tätig, gab Monografien und Katalog zu österreichischen Künstler:innen heraus, war Kommissarin der Biennalen in Sygney und Puerto Rico, Vorstandsmitglied der Association Internationale des Critiques d’Art sowie langjährige Präsidentin des Vereins der Freunde „Künstlerhaus Wien“ und des „Art Brut Centers Gugging“.

Neben ihrer beeindruckenden Karriere war sie aber immer auch Zeitzeugin und engagierte sich gegen jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung. Ich kann mich noch genau an die Eröffnung der Gerechten-Ausstellung 2018 im Wiener Volkskundemuseum erinnern, bei der auch Balthasar Linsinger gedacht wurde. Zur Ausstellungseröffnung war auch Karoline Edtstadler, damals Staatssekretärin für Inneres, eingeladen. Als Angelica Bäumer aufs Podium kam, sprach sie nicht wie ihre Vorgängerin über Schrecken des Nationalsozialismus, die Gräuel der Schoa und über die Gerechten, die ihr Leben riskiert hatten, um andere zu retten. Sie sprach vielmehr über die Asylpolitik der Bundesregierung und über den Wert eines Menschenlebens, der immer gleich ist, egal woher dieser Mensch kommt. So wird Angelica vielen Menschen in Erinnerung bleiben: Als Mensch, der das Herz am richtigen Fleck hat, als Frau, die nicht schweigt, nur weil es gerade politisch opportun ist, als Gerechte, die von einem Gerechten gerettet wurde und weiß, dass sie ihr Leben jemandem verdankt, dessen moralischer Kompass unverrückbar war. Und das war ihrer auch.

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Selbstportrait von Angelica Bäumer aus ihrer Kindheit.

Kennengelernt habe ich Angelica, als ich in einem Kurator:innenteam, dem unter anderen Albert Lichtblau, damals noch Professor für Zeitgeschichte in Salzburg, angehörte, die neue österreichische Ausstellung in Auschwitz vorbereitete. Im Zuge dessen interviewten wir auch einige der noch lebenden Zeitzeug:innen. Ich hatte dies noch nie gemacht, Albert Lichtblau, einer der Pioniere der oral history in Österreich, schickte mich zu ihr. Ich kam zu ihr in ihre Wohnung im Ersten Bezirk, aufgeregt und unsicher. Und da saß sie, wir tranken Kaffee, wie wir es auch bei unserer letzten Begegnung taten, und sie nahm mir alle Unsicherheit mit ihrer Warmherzigkeit und ihrer Offenheit. Es war eine Begegnung, von der ich wusste, dass ich sie nie vergessen würde, weil es solche Menschen nicht oft gibt.

Möge dir die Erde leicht sein, liebe Angelica.