24. November 2025
Schaufenster

Unsere Objekte! Von A bis Z.

von Caitlin Gura
Zwei schwarze Kisten befüllt mit farbigen Karteikärtchen
© David Peters
Inventarkarteikästen des ersten Jüdischen Museums, vor 1938, Inv. Nr. 2129 

Im November 1895, vor 130 Jahren, eröffnete das Jüdische Museum Wien. Um einen Einblick in die bewegte Geschichte des Hauses zu gewinnen, bot sich eine Recherche in zeitgenössischen Zeitungen an. Die Ergebnisse zeichnen ein spannendes Bild von der Gründung und der weiteren Entwicklung des ersten jüdischen Museums der Welt.
 
Die Gründungskommission des Jüdischen Museums Wien entstand unter dem Namen „die Gesellschaft für Sammlung und Conservirung von Kunst- und historischen Denkmälern des Judenthums“. Sie bestand aus prominenten jüdischen Wienern aus Kunst-, Wissenschaft- und Politikkreisen:

  • Präsident: Architekt Wilhelm Stiassny (1842–1910)
  • Erster Vizepräsident: Burgschauspieler Adolf Ritter von Sonnenthal (1834–1909)
  • Zweiter Vizepräsident: Universitätsprofessor und Begründer der Ohrenheilkunde Dr. Adam Politzer (1835–1920)
  • Kassaverwalter: Gemeinderat und Zivilingenieur Theodor Ritter von Goldschmidt (1837–1909)
  • Schriftführer: Architekt Max Fleischer (1841–1905)
  • Kassenkontrolleur: Zivilingenieur Sigmund Taussig (1840–1910)
  • Weitere Mitglieder: Komponist Ignaz Brüll (1846–1907), Landwirt Abraham Epstein (1841–1918), Jurist und Hofrat Dr. Karl Grünhut (1844–1929), Oberrabbiner Dr. Moritz Güdemann (1835–1918), Südarabienforscher Dr. David Heinrich von Müller (1846–1912) und Rechtsanwalt Dr. Adolf Stein (1838–1937).
Bemerkenswert ist es, dass obwohl Wien damals eine der größten jüdischen Bevölkerungen Europas beheimatete, aber – zumindest aus Sicht der Museumsgründer – kaum Objekte jüdischer Kulturgeschichte in den öffentlichen Museen, abgesehen von den kaiserlichen Sammlungen. Um diese Lücke zu schließen, fühlten sie sich berufen, ein jüdisches Museum zu gründen. In der Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen am 7. Juni 1895 veröffentliche der Verein einen Artikel über seine Vision:

Durch die Initiative von Männern, welche, obwohl verschieden durch Beruf und Stellung, sich in der Liebe zur Kunst und Wissenschaft, sowie in der Pietät für die Vergangenheit des jüdischen Volkes zusammengefunden haben, ist in Wien eine Gesellschaft gegründet worden, welche sich das Ziel gesteckt hat, ein Museum für Kunst- und historische Denkmäler des Judenthums zu schaffen. Es sollen darin die Erzeugnisse der Literatur, Kunst und Wissenschaft, sowie die historischen Denkmäler, welche auf die politische und Cultur-Geschichte der Juden Bezug haben, gleichviel ob sie von Angehörigen des Judenthums oder denen anderer Völker stammen, gesammelt und aufbewahrt werden. Während in manchen anderen Großstädten, wie London, Paris, Berlin, die öffentlichen Museen auch viele Schätze jüdischer Alterthümer bergen, haben wir in Wien, abgesehen von der kostbaren Sammlung hebräischer Handschriften in der kaiserlichen Hofbibliothek, welche einen alten Ruhmestitel des kaiserlichen Hauses bildet, und der erst jüngst angelegten und rühmlichst bekannten Sammlung "Papyrus Erzherzog Rainer", von werthvollen Kunst- und historischen Denkmälern, so gut wie gar nichts. Diesem Mangel abzuhelfen hat sich die neugegründete Gesellschaft zur Aufgabe gemacht.1


: Eine Vorlage einer Karteikarte aus dem ersten Jüdischen Museum Wien
© JMW
Blanko-Karteikarte des ersten Jüdischen Museums Wien. Inv. Nr. 12514, c. 1900

Bis zur Eröffnung im November 1895 sammelte das Museum rund 400 Objekte. Der erste Standort der Sammlung war in der Rathausstraße 13 im ersten Bezirk. Dieses Haus
wurde vom Präsidenten der Museumsgesellschaft Wilhelm Stiassny erbaut.
 
Im Jahre 1898 besuchte der US-Botschafter für das Osmanische Reich, Mr. Oskar Strauß, mit seiner Familie das jüdische Museum, was ein großes Ereignis war. Bei der Ankunft äußerte der Botschafter über seine Freude, das Museum besuchen zu dürfen, vor allem, da es schon viel über das Museum in den USA gesprochen und geschrieben wurde. Die Neuzeit berichtete:
 
„Mit großem Interesse betrachteten die Gäste die zahlreichen Objekte von hervorragend archäologischem und künstlerischem Werten, insbesondere die italienischen Majoliken, die Objekte für den rituellen Gebrauch, die alten Manuskripte und die Judenschutzbriefe (Hoffreiheiten) aus dem 18. Jahrhundert, von deren Existenz man in Amerika natürlich keine Kenntnis besitzt. [...] Nach fast zweistündigem Aufenthalt verließ der Botschafter und seine Familie das jüdische Museum.“2
: Auszug aus einer alten Zeitung mit Öffnungszeiten des ersten Jüdischen Museums in Wien
© ANNO/ÖNB
„Wiener Sehenswürdigkeiten“, Auszug aus der Neuen Freien Presse, 22. Mai 1910, S. 47

Wegen Platzmangel für die stetig wachsende Sammlung sowie fehlender finanzieller Mittel übersiedelte das Museum zwischen 1901 und 1912 mehrfach: von der Krugerstraße 8 im ersten Bezirk, ins Palais des Baron Wenkheim in der Praterstraße 23 im zweiten Bezirk und schließlich im oberen Stock der Talmud-Thora-Schule in der Malzgasse 16.3 Das Museum war für die Öffentlichkeit samstags und sonntags zwischen 11:00 und 13:00 zugänglich. 


: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW


: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW
: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW


: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW
: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW
: Schwarz-Weiß Aufnahmen vom ersten Jüdischen Museum in Wien am Standort Malzgasse 16
© JMW
Innenansichten der Ausstellungsräume des ersten Jüdischen Museums in der Malzgasse 16, c. 1928. Inv. Nr. 2623, 2624, 2625, 2626, 2627, 2628

Trotz finanzieller Schwierigkeiten und dem Tod wichtiger Gründungsmitglieder wie Max Fleischer (1905), Wilhelm Stiassny (1910) und Adam Politzer (1920) blieb das Museum aktiv. Am 14. Mai 1928 beschrieb das Neue Wiener Journal das Jüdischen Museum Wien als „Hidden Gem“:
 
„Es ist gewiss keine überraschende Feststellung, dass sehr viele Wiener über die Besonderheiten und Besitzwerte ihrer Stadt nicht genauen Bescheid wissen. Der Fremde kennt oft beschämenderweise viel mehr, kommt scheinbar überall leichter hin und macht sogar noch manchmal Entdeckungen. So dürften auch nicht allzu viele Einheimische davon Kenntnis haben, dass Wien ein eigenes jüdisches Museum besitzt, das ein in vielen Beziehungen wertvolles und einzigartiges Material enthält.6

1938 bedeutete einen drastischen Einschnitt: Nach dem „Anschluss“ schloss das NS-Regime das Museum und beschlagnahmte die Sammlung von 6.474 Objekten. Diese wurden auf verschiedene Wiener Institutionen verteilt, darunter das Naturhistorische Museum, das Völkerkundemuseum (heute Weltmuseum) und das Historische Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum). Nach dem Krieg wurden die erhaltenen Objekte an die Israelitische Kultusgemeinde restituiert. Mit der Neugründung des Jüdischen Museums Wien 1988 bildeten sie das Fundament der heutigen Sammlung.

Links:


Fußnoten:

[1] „Ein jüdisches Museum“, in: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 249-250.
[2] „Der amerikanische Botschafter im jüdischen Museum“, in: Die Neuzeit. Wochenschrift für politische, religiöse und Cultur-Interessen, 418.  
[3] Christa Prokisch, „Chronik einer Ansammlung. Jüdische Museen in Wien (1893-1938), in: Felicitas Heimann-Jelinek/Wiebke Krohn (Hg.): Das Erste (Wien, 2005), 6-7.
[4] R., „Besuch im Wiener Jüdischen Museum“, in: Neues Wiener Journal, 14.5.1928, 4.