08. Januar 2025
Aktuelles

In memoriam: Martin Karplus (1930-2024)

von Hannah Landsmann
Porträt eines älteren Mannes mit Brille, grauem Haar und Bart, der lächelnd nach rechts blickt
© Sonja Bachmayer

Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch

Dr. Martin Karplus (15. März 1930 in Wien, Österreich - 28. Dezember 2024 in Cambridge, Massachusetts, USA) war ein österreichisch-amerikanischer theoretischer Chemiker. Er erhielt 2013 den Nobelpreis für Chemie für die Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme. 

Anlässlich der Ausstellung „Die Ringstraße. Ein jüdischer Boulevard“ besuchten Dr. Martin Karplus und seine Frau Marci am 21. Mai 2015 das Jüdische Museum Wien. Sein Großvater Johann Paul Karplus hatte mit seiner Frau Valerie und den vier Söhnen im zweiten Stock des Palais Lieben-Auspitz, Universitätsring 4, 1010 Wien, gewohnt.

Fünf Personen und ein schwarzer Hund vor einer Ausstellung mit der Überschrift ‚Ringstraße Ein jüdischer Boulevard‘
© Sonja Bachmayer

Der älteste Sohn Hans, Vater von Martin Karplus, war als einziger der Familie zur Zeit des "Anschlusses" in Wien. Er organisierte vier Möbelcontainer und sandte sie an seine Brüder nach Palästina und in die USA, wohin er kurze später selbst flüchtete.

Das Ehepaar Karplus besuchte uns 2015 in Begleitung von Bib. Bib ist weder ein Blinden- noch ein Assistenzhund. Warum durfte er trotzdem ins Museum? Vielleicht weil man bei Nobelpreisträger:innen Ausnahmen macht?

Frau mit beiger Jacke hält schwarzen Hund mit lockigem Fell im Arm, beide schauen sich an, im Ausstellungsraum mit lila Wänden
© Sonja Bachmayer

Für Bib war eine spezielle Regelung getroffen worden. In dieser hatte der damalige Wiener Bürgermeister Dr. Michael Häupl mit seiner Unterschrift Bib den Besuch aller Wiener Museen gestattet.

Zertifikat mit dem Titel 'Erlaubnis' und Text zum Mitführen eines Biogs, gehalten von einer Hand, im Hintergrund unscharfe Personen
© Sonja Bachmayer

In der Ausstellung, die das Ehepaar Karplus – in Begleitung von Bib – gesehen hatte, war auch der Vermögensentzug thematisiert worden, der seine Familie betroffen hatte. Die Schenkung des Tisches und eines Schaukelstuhls an das Jüdische Museum Wien zeigt das Vertrauen, welches das Ehepaar Karplus in die Arbeit unseres Museums setzt. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich.

Kleiner rechteckiger Tisch aus Holz mit vier gesetzten Beinen und zwei Schubladen, ausgestellt im Museum
© JMW
Die Details hinter der Erlaubniskarte für Bib kennen wir nicht. Für einen Nobelpreisträger wird es allerdings keine allzu große Schwierigkeit sein, ein solches Papier zu erwirken. Martin Karplus erhielt 2015 im Wiener Rathaus die Ehrenbürger-Urkunde der Bundeshauptstadt überreicht. So leicht es ist Nobelpreisträger:innen einzuladen und Bib den Aufenthalt aller Wiener Museum zu erlauben, so unmöglich ist es, alle Enkel all jener nach Wien einzuladen, die aus „Unserer Stadt!“ vertrieben worden sind.

Vielleicht würde es Martin und Marci Karplus gefallen haben zu wissen, dass Schüler:innen oft den Tisch aussuchen, wenn es gilt, für berühmte fiktive Gäste des Museums ein Lieblingsobjekt zu finden. Dass Johann Paul Karplus, der Neurophysiologe und Psychiater sowie Primar an der Wiener Polyklinik war, an genau diesem Tisch mit Sigmund Freud Karten spielte, ist ein Teil der Geschichte. Über Geschichte muss man reden und wenn Dr. Freud als fiktiver Museumsbesucher diesen Tisch aussucht, ist das Gespräch in der Gegenwart angekommen.

Ein älterer Mann in braunem Pullover, eine Frau in orangem Mantel mit Brille und ein schwarzer Hund mit blauem Geschirr stehen in einem Museum und hören einer dritten Person mit Brille und dunkler Kleidung zu.
© Sonja Bachmayer