07. Oktober 2025
Kolumne aus der Direktion
Zwei Jahre ist 7. Oktober
von Barbara Staudinger
Jetzt ist er wieder da, der 7. Oktober – und damit das Entsetzen. Ich kann mich noch genau erinnern, was ich an diesem Morgen des 7. Oktober gemacht habe, als ich die ersten Nachrichten gelesen habe. Ich bin beim Frühstück gesessen, an meiner Küchentheke auf einem Barhocker. Dort hat mich das Entsetzen als erstes erreicht, über die Nachrichten. Ich bin auf meinem Hocker geschwankt, war ent-setzt, habe mich aufgefangen und in meinem Kopf ging ein Feuerwerk an Gedanken los. Es war der Tag der Langen Nacht der Museen. Sollen wir absagen? Ist das überhaupt noch möglich, so kurzfristig? War das ein Anschlag, der jetzt, bei aller Entsetzlichkeit, vorbei ist? Von ca. 100 Toten war morgens beim Kaffee noch die Rede.
Den Vormittag über habe ich telefoniert, daneben immer wieder die Nachrichten gelesen. Nichts war klar, außer, dass eine Absage der Langen Nacht nicht mehr möglich war. Das Jüdische Museum würde also offen haben. Frühzeitig ins Museum und mit dem Team sprechen. Klar, es ist ok – wer ins Handy schauen will, sich um Verwandte und Freunde sorgt, soll das tun. Wer nach Hause gehen will, kann das. Inzwischen erhöhen sich die Opferzahlen Stunde um Stunde, von Kämpfen wird berichtet, die Situation sei unübersichtlich, heißt es. Kurz vor Beginn ist die Polizei da, fragt, ob wir Unterstützung brauchen. Danke, jetzt nicht, alles ist friedlich. Während die Opferzahlen steigen und steigen, kommen die ersten Besucher:innen, und ich frage mich, warum es so viele junge Leute sind. Ich kann mich an diesen Abend gut erinnern, immer das Handy in der einen Hand, die Nachrichten aufgeschlagen, Leute begrüßend, Leute beruhigend, es wird sich alles aufklären, bei uns ist keine Gefahr. Dabei waren es da schon an die 1000 Tote, von denen berichtet wurde -– und von Geiseln, die nach Gaza entführt worden waren. Entsetzlich.
Und Menschen begrüßen, begrüßen, begrüßen und lächeln, auch wenn es gerade nichts zum Lachen gibt. Es sind so viele Menschen da. Erst beim dritten Mal, als ich darauf angesprochen werde, begreife ich, dass so viele kommen, weil sie Solidarität zeigen wollen. Und das gibt mir in dem ganzen Entsetzen Kraft – und Mut. Irgendwie muss es gehen, irgendwie muss es weitergehen, weil es so viele gute Menschen gibt.
Das waren meine Gedanken von vor zwei Jahren. Inzwischen ist nicht nur alles Entsetzliche bekannt, das am 7. Oktober vor zwei Jahren passiert ist, sondern es sind neue Entsetzen hinzugekommen: Seit zwei Jahren leben die Familien der noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln im Entsetzen des 7. Oktober, seit zwei Jahren ist die israelische Bevölkerung in einem kollektiven Trauma gefangen, aus dem sie ihre Regierung nicht zu befreien gedenkt. Seit zwei Jahren ist auch die palästinensische Bevölkerung in einem Trauma gefangen, im Trauma des Terrors und des Kriegs. Entsetzliches passiert in Gaza – und die Hamas gedenkt nicht, die Zivilbevölkerung aus dem Entsetzen zu befreien.
Und wir, hier, sehen diese Entsetzen –, aber viele wollen nur das eine Entsetzen sehen, nur den einen Teil eines riesengroßen Entsetzens wahrnehmen, und sprechen dem anderen Teil des Entsetzens den Charakter des Entsetzlichen ab. Man könne nicht beide Teile zusammen sehen, heißt es dann, dies würde den einen Teil kleiner machen. Ist das so? Ich glaube es nicht, weil es kein einziges riesengroßes Entsetzen gibt, sondern viele Entsetzen, aneinandergereiht. Sie alle zu sehen, die ganze lange Reihe an Entsetzen wahrzunehmen, ist wichtig – nur so sehen wir, dass diese Reihe schon viel zu lang ist. Zwei Jahre, so viele Entsetzen. Zwei Jahre ist 7. Oktober.