Die Mandlbögen von Moriz Grünebaum
Moriz (Ritter) von Grünebaum wurde 1873 in Wien in eine jüdische Familie geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und konvertierte zum Katholizismus. Nach seiner Promotion trat er in den Dienst der Niederösterreichischen Statthalterei und wurde Bibliothekar der k. u. k. Statistischen Zentralkommission. Mit seiner Frau Laura und seiner Mutter Charlotte lebte er in einer Wohnung in der Liechtensteinstraße 45 a in Wien-Alsergrund, direkt am Eingang zur Strudlhofstiege. 1925 wechselte er an die Universitätsbibliothek Wien und 1931 an die Akademie der bildenden Künste, wo er 1935 als Staatsbibliothekar I. Klasse in den Ruhestand trat.
Moriz Grünebaum war ein Sammler von Büchern und Arbeiten auf Papier, seine große Leidenschaft galt jedoch den Mandlbögen, vor allem jenen des Wiener Kunstverlags Trentsensky. Diese seit dem Biedermeier beliebten Ausschneidebögen für Kinder und Erwachsene wurden – oft bemalt und auf Karton aufgeklebt – für Papiertheater verwendet. Die Motive reichten von der Pflanzen- und Tierwelt bis zur Ausstattung ganzer Theateraufführungen, die das Nachstellen dramatischer Szenen zu Hause ermöglichten. In einem Artikel über den Verlag Trentsensky schrieb Grünebaum 1918: „Ich kann mich noch sehr gut meines ersten Besuches in jenem Papiergeschäft in der Domgasse erinnern. [
] Ich kam mir vor – wie im Märchen!“[1] Im Laufe seines Lebens legte er die wohl weltgrößte Sammlung von Mandlbögen an.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich musste Grünebaum sein Vermögen offenlegen, das aus nicht viel mehr als seinen Mandlbögen bestand, für die er ein handschriftliches „Spezialverzeichnis“ angelegt hatte. Vermutlich da seine Staatspension gekürzt worden war, zog er 1940 kurz nach dem Tod seiner Frau Laura mit seiner hochbetagten Mutter zu seiner Schwester nach Grinzing. Von dort wurde er in eine Sammelwohnung in der Herminengasse einquartiert und im August 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er zu Silvester 1942 unter ungeklärten Umständen verstarb.
Seine Mandlbögen-Sammlung hatte Grünebaum zusammen mit seinen Büchern und Grafiken bei einer Spedition eingelagert, von wo sie in weiterer Folge – möglicherweise über den „Ariseur“ des Kunstauktionshauses S. Kende, Adolf Weinmüller – in den Kunsthandel gelangten. 1950 erwarb das Historische Museum der Stadt Wien in zwei Auktionen den gesamten Bestand.
Im Februar 2017 empfahl die Wiener Restitutionskommission die Rückgabe der rund 1500 Mandlbögen, die dann nach längerer Suche 2021 an die Erbinnen von Moriz Grünebaum übergeben werden konnten.
Verwendete Literatur
18. Bericht der amtsführenden Stadträtin für Kultur und Wissenschaft von Wien über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29. April 1999 in der Fassung vom 29. April 2011 erfolgte Übereignung von Kunst- und
Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien, der Wienbibliothek im Rathaus sowie dem Jüdischen Museum der Stadt Wien, 59–81, https://www.wienmuseum.at/items/uploads/items/Restitutionsbericht_2017.pdf (11.3.2024).
Maria Hochreiter, Mein Großonkel Moriz (von) Grünebaum und das Puzzle meiner Familiengeschichte, in: Birgit Kirchmayr/Pia Schölnberger (Hg.): Restitutiert. 25 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich, Wien 2023, 160–176.
Pia Schölnberger, Moriz Grünebaum, in: Lexikon der Provenienzforschung, https://www.lexikon-provenienzforschung.org/gruenebaum-moriz (11.3.2024).
Pia Schölnberger, „Fuer Pflicht und Ehr“. Die Welt hinter dem Sammlerstempel von Moriz (Ritter von) Grünebaum, in: Christian Mertens/Gerhard Milchram/Michael Wladika (Hg.), „In gutem Glauben erworben“. 25 Jahre Restitutionsforschung der Stadt Wien, Wien 2024, 144–149.
[1] Moriz Grünebaum, Matthias Trentsensky. Erinnerungen an einen Wiener Verleger, in Donauland 2 (1918) 2, 153–158, zit. nach: Hubert Kaut, Alt-Wiener Spielzeugschachtel. Wiener Kinderspielzeug aus drei Jahrhunderten, Wien 1961, 94–95.